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Sommerwanderungen in den Schweizer Alpen/2Ballenberg, das Schweizer Freilichtmuseum

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In der Nähe von Brienz-Hofstetten, wurden über 100 meist ländliche Gebäude aus dem XIV. bis XIX. Jahrhundert, in das Freilichtmuseum Ballenberg, auf ein 660’000 m2 umfassendes Grundstück umgesiedelt.

Die Gebäude stammen aus allen sprachlichen und natürlichen Regionen der Schweiz : es sind Bauernhäuser, Alphütten, Scheunen, Waschküchen, Trockenräume für Gras und Getreide, Milchkeller und Industriegebäude, die an ihrem Standort vom Abriss bedroht waren; sie wurden sorgfältig abgebaut und in Ballenberg wieder zusammengesetzt. Als Zeugen der Architektur, der Arbeit, dem täglichen und sozialen Lebens ihrer Zeit, wurden die Gebäude nach geographischen Regionen gruppiert. Sie lassen heute, zum besseren Verständnis der seither stattgefundenenden Veränderungen, die Atmosphäre vergangener Zeiten wiederaufleben. Gärten, Weiden, Felder, Wiesen und mehr als 250 Bauernhoftiere ergeben ein wunderbar realistisches Bild. Kein Wunder, dass diesmal der Besucher an Ort nicht allein ist. Tag für Tag, zieht es Leute aus allen Landesteilen und auch aus dem Ausland, unter anderem viele Familien, diese Reise in die Vergangenheit zu unternehmen. Umsomehr als der Besuch durch die Museumsverwaltung sehr anziehend gestaltet wird : Handwerker, Gastwirte, Spinnerinnen, Keramikerinnen, Hutmacher und weitere Handwerker ziehen die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden auf ihre vor Ort ausgeübten, traditionnellen Tätigkeiten.

Unsere Tour führt zu sieben Objekten, denen Ballenberg ein zweites Leben geschenkt hat; die Auswahl erfolgte nach der sprachlichen und landschaftlichen Herkunft.

Der Jura, Land der Täler und Hochebenen der nördlichen Schweiz, ist von je einem Bauernhof von La Chaux-de-Fonds (Neuenburg) und Therwil (Basel-Land) vertreten. Das Mittelland, Land der Ebenen und Hügeln, zwischen dem Jura im Norden und den Alpen im Süden gelegen, ist von je einem Bauernhof aus Ostermundigen (Bern) und Lancy (Genf) vertreten. Die Alpen, als Zentrum des Landes , werden von einer Alphütte aus Champatsch/Valchava (Graubünden) und von einer Gruppe von Hütten und Scheunen aus der Alp Richinen in Bellwald (Wallis) vertreten. Die Südregion, das Tor zur lombardischen Ebene, ist von einem Bauernhof aus Novazzano (Tessin) vertreten. La Chaux -de-Fonds, 1000 m ü. M. auf dem Juraplateau gelegen, ist eine Stadt, die ihren Wachstum ab dem XVI. Jh. der Uhrenfabrikation und Präzisionsmechanik verdankt. Außer in städtischen Fabriken, waren diese Branchen auch in ländlichen Gebieten zu Hause; dort halfen sie den Bauern in einem schwierigen Umfeld zu überleben. Das besuchte Bauernhaus, genannt „La Recorne „, wurde 1617 gebaut. Wie alle jurassischen Gebäude, besitzt es sehr starke Mauern, kleine Fenstern und Türen, um im kalten Klima die Wärme im Haus zu behalten. Das Gebäude ist in Stein gebaut, die Mauern sind mit Kalk überdeckt, die Hausecken, Tür- und Fensterrahmen mit gelbem Jura Sandstein verstärkt, das Satteldach mit Holzschindeln bedeckt. Es weist ein typisches breites Kamin auf, mit einer Klappe, wo Schinken und Würste zum Rauchen aufgehängt wurden. Oberflächenwasser ist im Kalksteinreichen Jura knapp, der Boden ist porös und der Regen wird dank Holzrinnen in einer in der Nähe des Hauses angelegten Zisterne aufgefangen. Von primärer Bedeutung in einer auf Weiden aufgebauten Landwirtschaft, wird das Heu auf einer Brückenscheune auf die Bühne gebracht; die Türöffnung ist groß genug, um die Heukarren hineinfahren zu lassen. Das Haus ist von Trockenmauern umgeben, die den Garten vor kalten Winden schützen und die Weiden begrenzen. Ende des siebzehnten Jahrhunderts begannen die Bewohner des Hauses mit der Herstellung von Käse, und ab dem achtzehnten Jahrhundert kamen neue handwerkliche Tätigkeiten dazu, wie Spitzenherstellung, Uhrenmacherei, usw.

Therwil, ist 306 m.ü.M. in der Basler Landschaft, im Nordwesten der Schweiz, gelegen; die Ortschaft gehört auch zum Jura, der sich hier in seiner hügeligen Form zeigt. Das Klima ist kühl, die Winter schneereich, so dass die Landwirtschaft eher karg ausfällt. Wie in seinem Neuenburger Gegenstück, sind auch hier alle Funktionen in einem einzigen Gebäude vereinigt; dieses ist dreistöckigen und hat zwei Dachboden. Das Dach ist sehr steil, um im Winter übermäßige Schneeanhäufungen zu vermeiden. Die Hausmauern sind aus mit Kalk geweisstem Stein, die Fenster und Türen weisen einen Rahmen aus jurassischem Sandstein auf. Die Rahmen, Simsen und Pfosten sind im spätgotischen Stil dekoriert. In den Basler Bauernhäuser waren auch besondere Räume für Heimarbeit untergebracht. In der Tat, hatte sich seit dem sechzehnten Jahrhundert in der Basler Landschaft, auf Order von städtischen Kaufherren die Seidenindustrie verbreitet. Die Seide stammte aus Norditalien und dem Tessin. Diese Branche wurde von französischen Hugenotten, auf der Flucht vor der Aufhebung des Edikts von Nantes (1629) nach Basel eingeführt. Die sogenannten „Seidenherren“, Grossindustrielle der Rheinstadt, lieferten den landschäftlichen Handwerker das Ausgangsmaterial und kauften ihnen danach die fertigen Produkte ab. Die Seidenprodukte erfreuten sich einer hohen Nachfrage dank dem Adel und dem Bürgertum. Ausgangspunkt dieser Arbeitsteilung waren die städtischen Gildenregelungen, welche nur eine begrenzte Produktion von Posamenten zuliessen. Bei diesem Prozess wurde das größte Risiko vom Hersteller getragen, während Zulieferer und Endkäufer den Gefahren weniger ausgesetzt waren. Das Therwilerhaus beherbergte eine Familie von Bauern-Handwerkern, die auf Handwebstühlen Seidenbänder und Posamente produzierten. Die in Therwil verarbeitete Seide kam teilweise aus dem Bauernhof von Novazzano, im Tessin (siehe unten). Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, als in Basel Bänderfabriken eingerichtet wurden, die nicht mehr den Gildenregelungen unterstanden, verschwand diese Heimindustrie nach und nach .

Mit dem Bauernhof von Ostermundigen, im Kanton Bern verändert sich das natürliche, wirtschaftliche und soziale Bühnenbild vollständig. Wir befinden uns nun in einer wohlhabenden Region des Schweizer Mittellandes. Anno 1797, im Baujahr des Hofes, war der Kanton Bern das mächtigste Staatsgebilde der Eidgenossenschaft; ein Jahr später, wurde Bern in die revolutionären, französischen Kriege einbezogen, militärisch geschlagen und in die durch das französische, republikanische Modell inspirierte Helvetische Republik integriert. Ostermundigen, heute Vorortgemeinde der Stadt Bern, war im achtzehnten Jahrhundert ein blühendes Bauerndorf mit fruchtbarem Land, das von wohlhabenden Bauern bei vergleichsweise guten Wetterbedingungen bearbeitet werden konnte. Die Höfe waren durch ihre Ausmassen, der Größe ihrer Dachkammern, den grossen Vordächern und Holzstössen, den vielen Verzierungen, des Blumenschmuckes und der großen Brückenscheune aus Sandstein leicht zu erkennen. Der Ostermundiger Hof wurde an Stelle eines 200 Jahre älteren Hauses gebaut : Wände, Struktur und Dach sind ganz aus Holz gebaut und das Haus ist grau gestrichen um den Eindruck von Steinmauern zu vermitteln. Ausser der wirtschaftlichen Bedeutung, die dank der Bodenfruchtbarkeit und der hohen Qualität der Simmentaler Kuhherden entstehen konnte, ist es der Bauernschaft des Berner Mittellandes gelungen, auch eine eigene Kultur zu schaffen, die später in der Literatur von Jeremias Gotthelf verewigt wurde. Diese Kultur distanzierte sich von derjenigen der städtischen Aristokratie, die ihre Vorbilder dem französischen Hof entlehnte und französisch sprach. Eine Besonderheit der Berner Gesetze war, beim Ableben der Hofbesitzer die Erbschaft nicht zu teilen, sondern diese dem jüngsten Sohn zuzusprechen; weitere Geschwister konnten gegen Entlöhnung weiter auf dem Bauernhof arbeiten, wo sie geboren wurden. Kam das Bauernpaar ins Rentenalter, übergab es meistens den Hof dem Erben und zog sich ins „Stöckli“ zurück (kleines Haus in einem angemessenen Abstand vom Hauptgebäude gebaut). Dieses Verfahren vermied so weit wie möglich die langen, oft konfliktgeladenen Prozesse, die sich aus dem Erbprozess ergaben. Der Gebäudekomplex wird von einer in der Nähe des Hauptgebäudes gelegenen Scheune abgeschlossen, wo einen wichtigen Teil des Familienreichtums aufbewahrt wurde, einem großen Gemüsegarten, der Gemüse und Blumen lieferte und einem Obstgarten.

Im Schweizer Mittelland, am westlichen Ende des Landes auf 400 m Höhe gelegen, besitzt die Gemeinde Lancy, heute ein Vorort der Stadt Genf, zurzeit nur noch 5 % landwirtschaftliche Nutzfläche. Im Jahr 1762 , dem Baujahr des in Ballenberg wieder aufgebauten Bauernhofes, lag das Dorf in einem reichen Agrarland das bis zu den Toren der Calvin-Stadt reichte. Zur gleichen Zeit lebte Voltaire im benachbarten Schloss Ferney, nur ein paar Meilen von Lancy entfernt und von Frankreich durch die Grenze getrennt. Er hatte sich entschlossen in der Nähe von Genf zu leben, um den Mächtigen des französischen Hofes, denen seine Schriften ein Dorn im Auge waren, zu entgehen. Der in der Nähe des Genfer Sees gelegene Bauernhof von Lancy wurde in drei Etappen gebaut : zuerst das Weinberghaus mit seiner Presse; später kamen landwirtschaftliche Gebäude dazu und zuletzt, im Jahr 1820, wurde der Hof Teil eines grossen Gutes mit entsprechendem Herrschaftshaus. Im Jahre 1788 wurde es vom sardischen Bürger Joseph Guillierme, gebürtig aus Saint-Genix (Chambery) erworben. Als er das Gut erwarb hatte sich Guillierme, der über längere Zeit in Preußen lebte, in Confignon, in der Nähe von Genf, verheiratet. Der Hof ist aus Stein gebaut, die Mauern sind mit Kalk überzogen und Türen und Fenster sind wegen Mangel an Stein gelb gestrichen. Das mit Schieferziegeln bedeckte, abgeschrägte Dach sollte das Haus vor der Bise, einem kalten Nord-Ostwind, der in Genf stark wehen kann, schützen. Der aus Abrissresten des Schlosses Saconnex gebaute Taubenschlag verrät den Einfluss der benachbarten, französischen Bresse. In den grossen Stallungen des Bauernhofs waren bis zu 50 Stück Vieh untergebracht; in der Wohnküche im Erdgeschoss und in den Zimmern des ersten Stockes lebten der Landwirt und die Stallknechte.

Valchava ist eine im östlichen Kanton Graubünden, im Tal von Müstair (Münstertal) gelegene, Rätoromanisch sprechende Gemeinde. Dazu gehört die auf über 2000 m Höhe gelegene Alp Champatsch , wo sich die heute in Ballenberg stehende Alphütte, mit ihrem stattlichen Vordach, dem Stall und der Scheune befand. Ursprünglich beherbergte das Haus auf der Bergseite einen Milch- und Käsekeller  und auf der Talseite einige Wohnräume. Es wurde dort auf genossenschaftlicher Grundlage Käse hergestellt, der im Keller ausgereift und gelagert wurde. Nach dem Alpabgang wurde die Käseproduktion unter den Genossenschafter verteilt. Das Vordach diente sowohl als Unterschlupf für die Tiere bei schlechtem Wetter als auch als Melklokal. Das benötigte Wasser stammte aus Bergquellen. Das aus dem XIX. Jh. stammende Gebäude wurde  bis 1984 ununterbrochen benutzt. Die deutschsprachige Gemeinde Bellwald liegt im Osten des Kantons Wallis; sie ist über dem Rhonetal gelegen und umfasst, auf 2000 m Höhe, die Alp Richinen. Diese Alp ist eine der Seltenen im Gomsertal Tal, die auf individueller Basis bewirtschaftet wurde. Tagsüber wurde das Vieh von einem Hirten gehütet; abends, nach getaner Arbeit, stiegen die Viehbesitzer auf die Alp um ihre zu Kühe melken und die Milch zu verarbeiten. Aus diesem Grund zeigte sich die Alp Richinen wie ein kleines Dorf, das einfach die Struktur eines Talortes widerspiegelte. Im Jahr 1937, wurde diese Arbeitsweise durch eine Alpgenossenschaft ersetzt. Die nachfolgende Beschreibung, die auch für das obenerwähnte Ciernes-Picat-Tal gilt, gibt Auskunft über das Wirtschaftsleben auf der Alp. Die Alpgebäude und -hütten dienten den Hirten und Käser wie auch dem Vieh als Unterkunft. Manchmal gab es dort auch Alpkäsereien, wo aus der Milch Rahm, Butter und Käse hergestellt wurden. Am Anfang der Alpsaison ist es in den Schweizer Alpen Brauch, Personal und Vieh aufmarschmässig auf die Alp steigen zu lassen : man nennt diesen alten, malerischen und gemütsvollen Brauch, Alpaufzug. Auf der Alp angekommen finden die Tiere reichlich blühende Wiese vor; je nach Fortschritt der Saison und dem Zustand der Wiesen wechseln Hirten und Tiere von einer auf die andere Alp über. Die vor Ort gewonnene Milch wird für die Herstellung von Hartkäselaiben und manchmal auch Frischkäsen verwendet. Die Milch wird in einen über dem Feuer aufgehängten Kessel gegossen, Lab wird dazugegeben, das Ganze wird mit einem Besen umgerührt bis die Masse gerinnt. Die geronnene Milch wird dann mit einer sogenannten Harfe körnig gemacht, abgetropft, geformt, gepresst und gesalzen. Falls sie nicht zur Fütterung der Schweine aufgehoben wird, wird die dabei entstandene Molke noch einmal aufgekocht und ergibt proteinreichen Quark. Den geformten und gepressten Käselaiben wird durch Einsalzen eine Kruste verliehen; sie werden dann in der Hütte durch tägliches Waschen und Wenden verfeinert. All diese Operationen erfordern vom Käser gute berufliche Kenntnisse, einschließlich einer gewissen physischen Kraft. Ländliche Gebäude werden mit massiven Fichtenbalken gebaut, wobei die Dächer mit Holzschindeln bedeckt sind. Die Inneneinrichtung ist rustikal und weist eine Esszimmer-Küche auf, sowie Schlafsäle oder Schlafzimmer; Käseherstellung erfordert angemessene Räume, mit einem Feuer und Kamin, sowie grosse Holzmengen. Die Käse werden zur Verfeinerung in einem separaten Raum aufbewahrt und am Ende der Alpzeit in die Talebene gefahren, wo sie in Kellern gelagert werden. Das Vieh zieht zum Grasen frei herum, wird jedoch zur Melkzeit in der Nähe der Alphütte zusammengeführt. Das Aussehen und die Struktur des Hofes „La Pobbia“ in Novazzano, im Süden des italienischsprachigen Kantons Tessin, erinnern an einen lombardischen Bauernhof. „La Pobbia“ gehörte zum agrarkapitalistischen System das in Norditalien und speziell in der Lombardei weit verbreitet war; der Hof hatte eine Fläche von 21 Hektaren, was für den Tessin eine sehr große Oberfläche darstellt. Die Gebäude enthielten mehr als 50 Räume (Küchen, Keller, Schlafzimmer, Ställe und Scheunen). Zunächst gehörte der Hof der lombardischen Grafenfamilie Turconi und wurde durch ein bis drei Pächter bewirtschaftet, dann von vier Familien mit Kindern in Höhe von insgesamt 28 Personen. Ab 1942 bis 1962 arbeitete und wohnte dort eine sechsköpfige Familie. Neben den üblichen landwirtschaftlichen Produkten der Region (Mais, Getreide, Gemüse, Wein, Vieh), züchtete man in der im Süden der Schweiz, in einer fruchtbaren hügeligen Landschaft  gelegenen „La Pobbia“, auch Seidenraupen, die mit Maulbeerblättern gefüttert wurden. Die Seide wurde dann nach Basel gesandt, und später durch die Basellandschaftlichen Heimweber zu Posamenten verarbeitet (vgl. Haus Therwil oben).   In Ciernes-Picat begegneten wir einer lebendigen, teilweise modernisierten Berglandwirtschaft; in Ballenberg dagegen sahen wir eine teilweise noch nicht zur fernen Vergangenheit gehörende Landwirtschaft, die das Freilichtmuseum durch die gelungenen Wiederaufbauten und die dazu gehörende, natürliche Umwelt, den Nutztiere und den täglichen Demonstrationen von traditionellem Handwerk zu neuem Leben erweckt hat.

 

Cosimo Nocera ist Historiker und Museumsführer am Nationalmuseum in Bangkok. Er lebte und arbeitete in Italien, der Schweiz und den Andenländern (Peru, Ecuador und Bolivien). Nach einem längeren Aufenthalt in Südost Asien, lebt er derzeit in der französischen Schweiz.

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