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Sikkim, Darjiling, Eindrücke aus dem indischen Himalaya/3Kurzinformation über die ursprünglichen Religionen und den tibetanischen Lamaismus

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Die Artikelfolge über Sikkim und Darjiling besteht aus acht Teilen :

1) Sikkim und Darjiling, das himalayische Indien; kurze Geschichte Sikkims; Fotogalerie

2) Kurze Geschichte Darjilings; Fotogalerie

3) Kurzinformation über die ursprünglichen Religionen und den tibetanischen Lamaismus

4) Die lamaistischen Klöster. Das Kloster Yiga Choeling Ghum in Darjiling

5) Sikkimesische Klöster : Sanghak Choeling und Pemayangtse, in Pelling

6) Sikkimesische Klöster : Enchey und Ramtek, in Gangtok

7) Sikkimesische Klöster : Tashiding; Yung Drung Kundrak Ling Bön

8) Sikkimesische heilige Stätten : Chörten Do Drum, in Gangtok; der Khecheopalri See


Darjiling: die ursprünglichen Religionen, der Lamaismus und die Sekten

Vor dem siebten Jahrhundert, beschrieben chinesische Chronisten Tibet und seine Grenzmark als ein schriftloses, von Anhängern animistischer und schamanistischer Religionen und von wilden Kannibalen besiedeltes Land.

Es scheint, dass die ursprüngliche Bön-Religion nur ein Bestandteil der religiösen Welt des vor-buddhistischen Tibets war. Es gab zudem die sogenannte „Religion der Menschen“ (mi-chos), die sich von der „Religion der Götter“ (lha- chos), wie man zuerst die Bön-Religion und später den Buddhismus nannte, unterschied.

Quellenmaterial über die „Religion der Menschen“ ist selten; es steht allerdings fest, dass sie zahlreiche indische, iranische und chinesische Einflüsse aufweist. Sie umfasste viele Sagen und Rätsel, und hatte ihre Geschichtenerzähler und Sänger. Die wenigen Beispiele dieser Religion, die bis zu uns gelangten, bestehen aus von alten Leuten erzählten Geschichten, die in einem poetischen, durch die Verwendung von Metaphern, Allerweltsweisheiten und Sprichwörtern gekennzeichnet Stil gehaltenen sind. Es ist bekannt, dass zu dieser Religion auch Gottheiten gehörten, die später von der Religion der Götter  (Bön und Buddhismus) übernommen wurden.

Wenn auch nur auf eine unvollkommene Art, wird die Bön-Religion ab dem zwölften Jahrhundert durch buddhistische und Bön Chroniken dokumentiert, später auch durch die chinesischen Thun-huang Handschriften (V-XI. Jahrhundert), in chinesischer und tibetischer Sprache, aus der Zeit der IX-X. Jahrhunderten.

Der tibetische König Songtsen Gampo, der als Förderer und Verbreiter des Buddhismus in Tibet bekannt ist,  bemühte sich auch um die Integration von Elementen der alten Religionen. Letztendlich ist der systematisierte und dem Buddhismus angepasste Bön-Glauben von der Lehre der nicht reformierten lamaistischen Niyngmapa-Sekte kaum zu unterscheiden, mit Ausnahme der technischen Begriffe und Namen.

Gegen 641, unter der Herrschaft Königs Songtsen Gampo, wurden der Buddhismus und die tibetische Schrift durch einen Boten, den der König nach Indien geschickt hatte nach Tibet gebracht; des Königs Ehefrauen, eine chinesische und eine nepalesische Prinzessin, beide dem Buddhismus ergeben, hatten ihn zu diesem Schritt ermutigt.

Ein Jahrhundert später, Anno 747, gründete der aus Kaschmir stammende Mönch Padmasambhava oder Guru Rinpoche, Mitglied einer tantrischen Schule, den tibetischen Lamaismus. Diese echt tibetische Form des Buddhismus wurde von der buddhistisch-tantrischen Vajrayana Lehre beeinflusst und beinhaltet zugleich Elemente der Bön-Mythologie und Religion, deren Gottheiten zu lamaistischen Schutzgöttern erhoben wurden.

Der Lamaismus besitzt eine große Anzahl von Gottheiten buddhistischer und vorbuddhistischer Herkunft. Sie erscheinen immer in der doppelten Gestalt einer friedlichen und einer beängstigenden Gottheit; diese gelten jedoch als die zwei Seiten einer gleichen, die harmonische Einheit der Dualität darstellenden Wirklichkeit.

Im Lamaismus, ist der historische Buddha Siddhartha Gautama, auch Shakyamuni genannt die Hauptgottheit. Da jedoch die beschränkte Dauer seiner Lehre bereits bekannt ist, wird der Weg zur Befreiung der Menschheit vom Maitreya Buddha oder Buddha der Zukunft angezeigt. Meditation ist die Technik, durch die man die Erleuchtung erlangen kann; sie beginnt mit dem Bewusstwerden der Sunyata oder Nichtigkeit, im Sinne eines alles umfassenden Raumes.

Die zahlreichen Fahnen, die man überall in Sikkim und den lamaistischen Ländern sehen kann (Tibet, Bhutan, Nepal, Mongolei, Ladakh) bedeuten die Behauptung seiner selbst, der Zugehörigkeitsgruppen (Familie, Klan) und deren Chefs, im Sinne einer Vorstellung und eines sich auf den Himmel beziehenden Kultes der Erhabenheit.

Die lamaistische Reformation begann im Jahr 1038, mit der Ankunft in Tibet des indischen Mönchs Atisha, als Reaktion auf den verdorbenen Lamaismus, wo dämonologische Praktiken und Hexerei vorherrschten, der sich in Tibet breitgemacht hatte. Atisha, der sowohl dem Yoga1 wie auch dem Tantrismus2 nahestand, hatte die Absicht, den tibetischen Buddhismus durch die Rückkehr zur ursprünglichen Mahayana-Lehre, die Praxis des Zölibats und der moralischen Gesinnung, sowie den Verzicht auf dämonologische Praktiken zu reformieren. Zu diesem Zweck gründete er eine Sekte namens Kadampa.

Im Jahre 1407, drei Jahrhunderte nach der Gründung der ersten Kadampa-Sekte, änderte der Weise Tsongkhapa deren Namen in Gelugpa-Sekte und gab ihr eine weniger asketische Erscheinung; der Schwerpunkt lag auf dem Zölibat, der Beobachtung der Mönchsregeln und der Wahrung der Lehre des Buddha. Tsongkapa wurde nach seinem Tod heilig gesprochen; in der Gelugpa-Sekte erhielt er eine zwischen dem Dalai Lama und dem Pantschen Lama gelegenen Stellung. Im Jahre 1577 verbündete sich der Führer der Sekte, Sanam Gyatso, mit dem Anführer der Mongolen Altan Khan und wurde dabei zum dritten Dalai Lama ernannt. Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts fanden gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen tibetischen Sekten statt, aus denen die Gelugpa-Sekte als Gewinner hervorging. Dank des durch seine moralische Gesinnung gewonnenen Ansehens, jedoch auch dank der Unterstützung durch Chong Kar, Minister der chinesischen Regierung mongolischen Ursprungs, Botschafter in Lhasa im Jahr 1640, übernahm unter dem 5. Dalai Lama die Gelugpa-Sekte die politische Macht in Zentraltibet und behielt sie bis 1950.

Die Kagyüpa-Sekte  wurde von Lama Maria und seinem Nachfolger Milarepa, der nach seinem Tod heilig gesprochen wurde, in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts gegründet. Die Besonderheit dieser Sekte ist die Praxis der Einsiedelei, sowie der Meditation in Höhlen und anderen entlegenen Orten. Ihr Schutzdämon ist Samvara.

Die Untersekte Kamapa, als Reaktion auf die Pflicht der Einsiedelei in der Mitte des zwölften Jahrhunderts entstanden, wurde von Ran Chun Dorje gegründet. 1725, besuchte der Chogyal (König) von Sikkim den Nachfolger Ran Chun Dorjes in Tibet, der ihm die Gründung einiger Kamapa-Klöster in Sikkim und Darjiling nahelegte.

Die Sakyapa-Sekte wurde im Jahre 1071 durch Kon dkon mchog gegründet und schaffte es, während einiger Zeit die weltliche Herrschaft in Tibet auszuüben, bevor sie von der Gelugpa-Sekte in den Schatten gestellt wurde. In Bezug auf ihre Lehre, ist diese Sekte praktisch mit der Nyingmapa-Sekte identisch.

Die Niyngmapa-Sekte versammelt all diejenigen, die die Reformen verweigert hatten; sie ist die Sekte mit den meisten, aus der vor-buddhistischen Bön-Religion vererbten Praktiken; Zölibat und Enthaltsamkeit werden hier nur selten praktiziert. Ihre spirituelle Bezugsperson ist Guru Padmasambhava, der Gründer des Lamaismus im Jahre 747, ihre Hauptgottheit Adi Buddha3.

Sikkim teilte weitgehend die tibetische Geschichte und ward bald zwischen zwei tibetischen Sekten unterteilt : auf der einen Seite die orthodoxe Niyingmapa-Sekte , dessen Mönche Rotkappen genannt werden; zweitens die teilweise reformierte Kagyüpa-Sekte oder deren Untersekte Kamapa. In Darjiling befinden sich auch einige Gelugpa-Klöster, deren Mönche Gelbkappen genannt werden. Diese Sekten sind bis heute im Land vertreten.

1Politisch-religiöses System aus Indien dessen Absicht die mystische Vereingung mit dem Höchsten Wesen, durch die Beherrschung des Körpers und der Sinne ist. Die Heilslehre wird durch den Lehrer (Guru) an die Anhänger weitergegeben, unter Verwendung von mystischen Formeln (Mantra) und deren symbolischen Übertragung (Mandala).

2Magisch-religiöses, auf den heiligen Schriften des Hinduismus und des Buddhismus begründetes System

3Im Lamaismus gilt Adi-Buddha als der Usprungs-Buddha; alle andern Buddhas gehen von ihm aus und er wird als der oberste Herr aller Dinge angesehen.


Cosimo Nocera ist Historiker und Museumsführer am Nationalmuseum in Bangkok. Er lebte und arbeitete in Italien, der Schweiz und den Andenländern (Peru, Ecuador und Bolivien). Nach einem längeren Aufenthalt in Südost Asien, lebt er derzeit in der französischen Schweiz.

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