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Die Q’ero, Nachkommen der Inka/1Die Leute und ihr Land

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Die Q’ero, Nachkommen der Inka

Die folgenden Artikel erzählen die Geschichte eines peruanischen Gewebes aus Q’ero, den der Autor zusammen mit anderen Geweben während einer vor mehr als zwanzig Jahren organisierten Expedition kaufte.

Der erste Artikel gibt einige Informationen über Q’ero und seine Bewohner; ein zweiter Artikel beinhaltet einen Auszug aus dem Tagebuch des Autors und der dritte Artikel befasst sich mit Kleidung, Weben/Spinnen und ihrer Bedeutung im Rahmen der Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat.


Q’ero, die Gegend und die Bewohner

Q’ero befindet sich im Nordosten von Cusco – der Hauptstadt der Inca – in einer Gegend die auf drei Himmelsrichtungen von Hochgebirgen umgebenen ist und sich im Norden zum amazonischen Wald öffnet.

Ihre Bewohner leben im wesentlichen von Tierzucht und Landwirtschaft. Ihre Tätigkeiten verlaufen auf verschiedenen ökologischen Höhenlagen: in der loma (3’800-4’700 m) weiden die Lamas und die Alpakas ; in der queshua (3’000-3’800 m) werden Kartoffeln und Oca angebaut und in einer tiefer gelegenen Zone, monte genannt (1’800-2’700 m), am Anfang des amazonischen Waldes, wird Mais angepflanzt ; von dort stammen auch Honig, Pfefferschoten, gewisse Früchte und einige Knollengewächse wie Süßkartoffel.

Das Klima ist abwechselnd feucht-gemäßigt (Oktober-März) oder trocken-kalt (April-September); in loma und queshua wechselt sonniges Wetter mit Niederschlägen und Schnee ab, Nebel ist häufig. Im monte, der subtropischen Zone, ist das Klima wärmer und feucht.

Im weitesten Sinne ist Q’ero ein kulturelles Gebilde, das sich aus verschiedenen Gemeinschaften zusammensetzt, die durch Geschichte und politische Organisation miteinander verbunden sind, in einem Habitat aus benachbarten Tälern leben, die aber durch hohe Berge getrennt sind; Wasserläufe aus den südlichen Ayakachi Bergen durchqueren die Gegend um weiter unten im Flusssystem des Amazonas-Regenwaldes einzumünden.

Alle diese Gemeinschaften besitzen einige gemeinsame kulturelle Merkmale, einschließlich des Webstils.

Mit seiner Kirche und Schule ist Q’ero Llaqta, am Zusammenfluss des Chua Chua Wasserlaufs mit dem Qoipa K’uchu Wasserlauf, das Zentrum der Region. Das Dorf hat die bedeutendste Anzahl Häuser, die größer sind als diejenigen in den kleineren Zentren; es wird aber ein großer Teil des Jahres von seinen Bewohnern verlassen, weil diese den Nomadismus praktizieren, der sie zur Zerstreuung ihrer Tätigkeiten zwingt.

Bis zur Agrarreform von General Juan Velasco Alvarado im Jahr 1968 war Q’ero Llaqta der Verwaltungssitz einer Hazienda, der die Einwohner der Region angehörten.

Zusätzlich zu Q’ero Llaqta sind die Q’ero in acht Weiler mit jeweils vier bis zwölf Familien aufgeteilt, ebenso wie in vereinzelten Hütten für insgesamt ein halbtausend Einwohner. Da sie nicht den gleichen Zugang zu den natürlichen Ressourcen haben, praktizieren die Dörfer untereinander Tauschgeschäfte. Es gibt auch Handelsbeziehungen mit den Dörfern rund um die Täler und die Q’ero besuchen regelmäßig die Märkte der Kleinstädten Ocongate und Paucartambo. Einige Händler ziehen nach Q’ero, um dort die Produkte zu verkaufen, die die Q’ero nicht selbst produzieren.

Wegen ihres Nomadenlebens besitzen die Familien in den Dörfern ein Haus und eine Scheune, um getrocknete Kartoffeln, Mais, Öl usw. zu lagern, sowie eine oder mehrere Hütten in verschiedenen Höhenlagen in der Nähe der Zucht- und Anbauorte. Die höher gelegenen Häuser bestehen aus einem einzigen Raum ohne Fenster und Schornstein, die nach Osten gerichtete Tür ist aus Holz, der Boden aus Lehm.

Die Q’ero tragen das traditionelle Kleid, bestehend aus einer Tunika (aymilla), einem Poncho, kurzen Hosen (kalsona), und einer gestickten oder gewobenen Mütze (chullu) oder einem Filzhut. Frauen tragen ein Hemd, einen oder mehrere Röcke (pollera) und ein oder mehrere Schultertücher (lliqllas) und einen Hut (montera).

Geschichte

In Q’ero Llaqta haben Archäologen Überreste von Gebäuden und Mauern aus der Vorinka-Zeit (vor dem XV Jh) entdeckt. Die Besetzung durch die Inka (um 1438) wird durch Überreste von Terrassen und Straßen, sowie einigen Keulen dokumentiert.

Die Kolonialisierung durch die Spanier (XVI-XIX Jahrhundert) brachte der Region bestimmte kulturelle Einflüsse (katholische Religion, Kleidung) und neue Tierrassen (Pferde, Schafe). Um 1850 wurde zugunsten einer kreolischen Familie eine Hazienda errichtet, die die gesamte Gegend sowie Teile von Paucartambo umfasste. Die Q’ero waren verschiedenen Aufgaben unterworfen (z.B. Fronarbeit), verloren aber nicht die totale Kontrolle über ihre wirtschaftlichen Aktivitäten.

Um 1920 wurde die Hazienda unter mehreren Erben geteilt und die Q’ero kamen unter die Kontrolle eines abwesenden Besitzers, der in Lima lebte. Im Jahr 1922 schrieb ein Familienmitglied der Besitzer eine erste Beschreibung von Q’ero. Der nachfolgende Erbe, der in Paucartambo wohnte, zeichnete sich durch seine bedrückenden Ausbeutungsmethoden aus. 1955, unter der Leitung von Professor Oscar Nuñez del Prado der Universität Cusco, fand eine von der Zeitung La Prensa aus Lima finanzierte Expedition nach Q’ero statt. Der Expeditionsleiter ergriff dabei Partei für die von ihrem Grundbesitzer ausgebeuten Q’ero und nutzte dabei die Publizität, die die Medien von Lima rund um die Expedition machten. So brachte es Oscar Nuñez del Prado fertig, von der peruanischen Regierung ein Dekret zur Enteignung der Ländereien der Hazienda zu erwirken, zusammen mit einem Kredit der es den Q’ero gestattete, ihr eigenes Land zurückzukaufen.

Seit 1958 hatte der Staat in Q’ero Llaqta eine Schule eingerichtet, die von einem Mischlings-Lehrer geleitet wurde. Die hispanische Kultur, die in der Schule gelehrt wurde, entspricht jedoch nicht der lokalen Tradition und Q’ero Kinder sind zudem in erster Linie verpflichtet, bei den landwirtschaftlichen Arbeiten mitzuhelfen ; somit hatte die Schule wenig Erfolg.

Bis zur 1968 von General Juan Velasco Alvarado angeordneten Agrarreform, war Q’ero Llaqta der Verwaltungssitz der Hazienda, die die Einwohner der Region zur Fronarbeit verpflichtete. Die Reform bestätigte die Grundrechte der Q’ero und die Abschaffung der latifundistischen Struktur, die von der kolonialen Vergangenheit übernommen wurde. Dank dem Einsatz von Oscar Nuñez erhielten die Q’ero den Status einer ethnischen Gemeinschaft (comunidad indigena), die ihnen das Recht gab, sich selbst zu verwalten und zu ihren angestammten Bräuchen basiert auf gemeinschaftlichen Grundstücken zurückzukehren.

Abgesehen von der Schule war die Anwesenheit des peruanischen Staates in Q’ero wenig sichtbar; eine technische Unterstützung wurde jedoch den Q’ero-Züchtern für die Alpakazucht gewährt.

Wirtschaftliche Tätigkeiten: Viehzucht

Die Tiere, Lamas und Alpakas, grasen auf den Weiden (waylla) der loma oberhalb der Landwirtschaftszone (3’800 m und mehr). Die Herden umfassen 10 bis 100 Tiere, wobei die Lamas etwa ein Viertel davon darstellen. Alpakas mit ihrer feinen Wolle gelten als die wichtigste Reichtums-Quelle : ihre Wolle bildet das Rohmaterial für feinere Webereien. 

Die Lama- und Alpaka-Wolle weist verschiedene Farbtöne auf ; teilweise wird sie ohne nachträgliche Färbung gesponnen und gewebt.

Lamas, die bis zu 30 kg laden können, werden zum Transport von Getreide und Mist verwendet.

Die Tiere werden meistens nicht geschlachtet; gelegentliche Fleischnahrung stammt von Tieren, die aus natürlichen Gründen gestorben sind. Bevor es verzehrt wird, wird das Fleisch  getrocknet und geräuchert.

Man trifft auch auf Schafe, deren weniger geschätzte Wolle oft ausserhalb der Täler verkauft wird. Einige Familien besitzen ein oder zwei Pferde; Schweine und Rinder sind eher selten.

Herden werden immer von Kindern oder Jugendlichen bewacht, um sie vor möglichen Feinden zu schützen (Puma, Fuchs, Kondor).

In Q’ero haben die Tiere jeweils ihren eigenen Namen und gelten als Teil der Familie.

Alpakas, die den größten Teil der Webwolle liefern, werden alle zwei Jahre geschoren, normalerweise im Januar. Zusätzlich zu den Webereien, fertigen die Q’ero mit der Wolle ihrer Herden viele Gegenstände von allgemeinem Nutzen an : die Wolle von Lamas, die gröber als die von Alpakas ist, wird dazu verwendet um Seile (washka),  Taschen (genannt costal) und resistente Gewebe (wayaqa oder, für den Transport von Kokablättern, hallpana) zu produzieren. Die Lamawolle wird auch verwendet um Tücher zum Schlafen oder Sitzen, Satteltaschen und Pferdedecken zu weben; dazu werden Steinschleudern und Zahlenschnürchen (khipu) erzeugt. Letztere gestatten es, die Konten gemäß der Inka-Gepflogenheiten zu halten.

Wirtschaftliche Tätigkeiten : Ackerbau

Drei Fünftel der Q’ero-Diät bestehen aus Kartoffeln, die den größten Teil der Ernte ausmachen. Für Peru, Bolivien und Ecuador verzeichnet das Internationale Kartoffelzentrum mit Sitz in Lima mehr als 5’000 Kartoffelsorten, sowie 6’500 Sorten Süßkartoffeln und 1’300 weitere Andenknollen .

Auf der queshua genannten Höhenlage (3’000-3’800 m), pflanzen die Q’ero mehrere Dutzend Sorten von Kartoffeln und Knollen; einige der Kartoffeln werden in ein gefriergetrocknetes Produkt umgewandelt, das moraya oder chuño genannt wird. Wegen der Bodenarmut praktizieren die Q’ero die 5-Jahres-Rotation. Feldarbeit liegt hauptsächlich in der Verantwortung der Männer während die Frauen beim Pflanzen und Ernten helfen.

Der Mais wird in einer geringeren Höhe kultiviert, auf der monten genannten ökologischen Ebene (1’800-2’700 m), in Richtung Amazonas-Wald. Es wird für den menschlichen Verzehr und die Herstellung eines Bieres namens axa oder chicha verwendet, dem in bestimmten Ritualen eine grosse Wichtigkeit zukommt. Die Kolben, die vor Raubtieren geschützt werden müssen, werden entkörnt, getrocknet und mit Hilfe der Lamas in die höher gelegenen Getreidespeicher transportiert. Nach zwei oder drei Ernten bleibt das gerodete Land drei Jahre brach liegen.

Der jährliche Arbeitsplan

Neben zahlreichen Tier- und Pflanzenaktivitäten, bei denen häufig von einer ökologischen Lage in die andere gewechselt wird, umfasst das Q’ero Jahres-Arbeitsprogramm auch ein halbes Dutzend religiöser und weltlicher Feiern, wie z.B. Allerheiligen oder Karneval.

Das Weben, eine weitere wichtige Aktivität, findet das ganze Jahr über statt, mit einer Verlangsamung im Februar und März die zwei sehr arbeitsreiche Monate sind.

Der Q’ero-Lebenszyklus

Wenn ein Kind geboren wird, dient eine erfahrene Frau als Hebamme. Eine Gabe an die  neue Mutter in Form von Cocablättern findet statt und eine Respektsperson wird als Pate oder Patin des(r) Neugeborenen bezeichnet. Zur Taufe müssen die Q’ero den jährlichen Besuch des Priesters abwarten.

Zwischen drei und sechs Jahren, manchmal früher, findet, nach der alten Inka-Tradition, die Haarschnitt-Zeremonie statt. Ein Pate wird ernannt, um den Schnitt durchzuführen. Ab dem sechsten Lebensjahr werden Kinder als geeignet betrachtet, zur Haushaltsarbeit beizutragen.

Etwa im Alter von 15 oder 16 Jahren nehmen Jugendliche an der Arbeit von Erwachsenen teil. Dann beginnen auch sie, Kokablätter zu kauen, die mit Kalk (llipta) vermischt werden; diese Mischung besitzt anregende Eigenschaften und beruhigt den Hunger. In allen Phasen seines Erwachsenenlebens, besonders während der Riten, sind Coca-Blätter aus Anbau außerhalb der Täler für den Q’ero von grosser sozialer Bedeutung.

Die von der Zustimmung der Eltern abhängigen Ehe, findet im Alter von 18-20 Jahren statt; wenn die Familie der Ehepartnerin, die zuvor von einem Vermittler angesprochen wurde, die Spenden des Ehekandidaten (Lebensmittel, Kokablätter, Alkohol) annimmt, findet ein Treffen statt, bei dem die Familien praktische Fragen besprechen (Wohnort des Brautpaares, Arbeit zugunsten der Familien der künftigen Ehegatten,  wirtschaftliche Aspekte der Ehe, usw.). Von da an gilt das Paar als verheiratet, ohne besondere Zeremonie. Manchmal werden die so gebildeten Paare von einem Priester während seiner jährlichen Reise durch die Täler gesegnet. Im Allgemeinen leben Paare mit der Familie des Bräutigams, bis sie, nachdem sie ihre soziale Position gefestigt haben, ihr eigenes Heim gründen und ein eigenes Haus bewohnen können.

In der Öffentlichkeit gehört die Autorität dem Mann; Frauen werden jedoch zu allen Familien- oder Gemeinschaftsangelegenheiten konsultiert und angehört.

Nach seinem Tod wird der Körper eines Q’ero gewaschen, sein Haar wird geschnitten; die Leiche wird in ein schwarzes Tuch gehüllt und die Beerdigung, einschließlich einer Mahlzeit, wird von einem männlichen Verwandten der Familie organisiert. Acht Tage nach dem Tod bereitet die Familie vor der Beerdigung eine neue Zeremonie vor. Die Kleidung der Verstorbenen wird aufbewahrt, um die Einmischung böser Geister zu vermeiden (machu runa).

Was ist heute aus Q’ero geworden ?

Seit 1995 haben Leute außerhalb des Landes, die von den Q’ero und ihren Schamanen gehört hatten, begonnen, sie zu bitten, in Cusco und im Ausland aufzutreten; oft aus den Vereinigten Staaten stammend, begierig auf Exotik, lösten diese Touristen in ihren Ländern sofort eine Welle des spirituell-schamanischen Tourismus aus, die bald von Reiseveranstaltern in Cusco übernommen und weiterentwickelt wurde.

Diese Vermarktung eines Volkes und seiner Überzeugungen wurde von Werbekampagnen begleitet, in denen die Q’ero mit suggestiven Namen wie „die letzten Inkas“ oder „die großen Zauberer der Anden“ geschmückt wurden. Einige Q’ero, die in das Spiel eintraten, begannen bezahlte Scheinrituale für kommerzielle und fotografische Zwecke zu organisieren, ausserhalb jeglichem symbolischen und kulturellen Kontext.

Falsche schamanistische Rituale führten zu einer Identitätsmanipulation, die wohl vom Ausland stammte, aber von den Peruanern und selbst den Q’ero weitergetragen wurde. Das Nationale Kulturinstitut von Cusco, das dieses Getue als eine Möglichkeit ansah, das touristische Image Perus zu fördern, baute sogar eine Straße ins Herz von Q’ero; die Täler wurden umgehend mit Bussen überschwemmt, die vollgestopft mit Touristen auf der Suche nach spiritueller Exotik waren. Q’ero begann, Teil des obligatorischen Andentours zu sein; dabei ging es jedoch keinesfalls um verantwortungsvollen, ethischen oder gar nachhaltigen Tourismus.

Die kommerzielle Logik scheint allen zu behagen, aber was wird aus der Q’ero-Identität in diesem Tohuwabohu ?

Um mit einer pessimistischen, aber realistischen Note zu enden, kann man bedauern, dass wie viele andere Täler und Flecken ein weiteres Paradies den Weg seiner Banalisierung angetreten hat.



Cosimo Nocera ist Historiker und Museumsführer am Nationalmuseum in Bangkok. Er lebte und arbeitete in Italien, der Schweiz und den Andenländern (Peru, Ecuador und Bolivien). Nach einem längeren Aufenthalt in Südost Asien, lebt er derzeit in der französischen Schweiz.

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