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Der Katechismus auf den Mauern/1Von den Alpen zur ligurischen See/1 

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Der Sinn der auf Kirchenwänden gemalten, mittelalterlichen Fresken

Die Malereien, deren eigentlicher Zweck die Begleitung und die Verstärkung der Messe und der Predigt war, entsprachen einem echten Bedürfnis in einer Zeit wo Analphabetismus gewöhnlich die Regel war. Die bäuerlichen Gläubigen, meist an ein hartes und mühsames Leben gewöhnt und in schmucklosen Häusern untergebracht, sahen sich beim Betreten der Kirche bereits im Vorraum des ihnen als Entschädigung für die ausgehaltenen Mühen versprochenen Paradieses angekommen. Christus, den Aposteln und den Szenen aus den Evangelien gegenübergestellt, alle in den schönsten Farben gemalt, empfanden die Kirchengänger wahrscheinlich ein Gefühl des Friedens und der Verwunderung. Sie fühlten sich nahe den Heiligen, deren Vornamen sie trugen, deren Leben und Wunder sie kannten und an die sie sich in der Not wandten. Die von den Bildern ausgestrahlte Wärme erlebten sie als die lebendige Gemeinschaft der Gläubigen, die sie der Unterstützung des Glaubens auf dem Weg zur endgültigen Ruhe versicherte.


Dieser erste Artikel aus der Serie „Von den Alpen zur ligurischen See“/1 ist Nord-Italien und dem alpinen Frankreich gewidmet. Er zeigt Informationen und Bilder über die Kirchen Notre Dame des Fontaines/La Brigue/Alpes maritimes und Santa Maria Maddalena in Gressan/Aostatal. 

Ein zweiter Artikel, „Von den Alpen zur ligurischen See“/2, stellt die Kirchen und Malereien der Sacra di San Michele, im Susatal/Turin,  Santa Giustina, in Sezzadio/Alexandrien und Santa Maria di Castello, in Genua vor.

Ein dritter Artikel, „Von den Alpen zur ligurischen See“/3, ist mehreren Kirchen gewidmet, die sich auf dem Weg vom Piemont bis nach Ligurien befinden : Baceno/Antigoriotal/Verbania, der Dom von Como, die Kirchen von Armeno, Briga Novarese und Momo in der an mittelalterlichen Malereien reichen Provinz Novara und zuletzt Campochiesa bei Savona.


La Brigue : die Kirche Notre-Dame des Fontaines

Die Kirche Notre-Dame des Fontaines ist vier Km vom Dorf La Brigue entfernt ; sie wurde auf einem Erdwall überhalb der Quelle des Bergbaches Levenza gebaut. In den Quellen seit 1375 erwähnt, scheint der Bau jedoch ältern Ursprungs zu sein ; die Kirche liegt an einem alten Wanderweidepfad und ist seit langem das Ziel von Wallfahrten.

Die Sage erzählt, daß eines Tages die Quellen der Levenza versiegten und den Bewohnern von La Brigue das für Felder und Leute unentbehrliche Wasser entzogen; die Bewohner schworen alsdann, eine Kapelle zu Ehren der Jungfrau Maria zu errichten, sobald ihnen das Wasser zurückgegeben würde. Die Quellen fingen sofort wieder an zu fließen und die Leute bauten das versprochene Heiligtum.

In früheren Zeiten lief der Weg zur Kirche über den Pont du Coq (Hahnenbrücke), die eine doppelte Arkade in Bodenschwelle und eine seitliche Zufahrtsrampe besitzt; die im XV. Jh gebaute Brücke wurde im XVIII. Jh erneuert.

Die kleine Kirche, deren Aussehen eher bescheiden ist, besitzt ein einziges rechteckiges Schiff; ihre Wände sind jedoch von grossartigen Fresken bedeckt, die von zwei piemontesischen Malern geschaffen wurden : Giovanni Canavesio, aus Pinerolo und Giovanni Baleison, aus Demonte im Sturatal. Der Erste schuf die Kindheit von Jesus, die Leiden Christi, sowie das Jüngste Gericht, die am 12.10.1492 eingeweiht wurden. Der Zweite malte 1481 die Kindheit und die Himmelfahrt Mariä.

Der 1425 geborene Canavesio besuchte die Werkstatt von Brea 1 in Nizza und bemalte später zahlreiche Bergkapellen in Westligurien  – darunter diejenigen von Pigna, Taggia, Pornassio, Triora und Diano Castello –  und in der Provence (St Etienne-de-Tinée, Vence, Grasse, usw.). Als Benutzer der Linearperspektive 2 , ist er ein echter Vertreter der Spätgotik der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts in den westlichen Südalpen.


1. Malerfamilie aus Nizza, die im XV. und Anfang des XVI. Jh dort eine Malerwerkstatt gründete

2. In der Linearperspektive scheinen alle Linien auf einen Fluchtpunkt zusammenzulaufen


 


Die Pfarrkirche, später Kapelle von Santa Maria Maddalena, in Gressan/Aosta-Tal

Die Pfarrkirche, heute Kapelle, von Santa Maria Maddalena wurde im 12. Jahrhundert erbaut.

Die Anwesenheit der Adligen von La Torre Villa hatte zur Folge, dass vom XIV. bis zum XVI. die Pfarrei der Maddalena in kultureller und politischer Hinsicht eine prunkvolle Ära erlebte.

Im Jahr 1786, aufgrund des Bevölkerungsrückgangs, hörte die Pfarrei auf zu existieren und die Kirche wurde in den Rang einer Kapelle zurückgestuft.

Die Fresken, die das Äußere und das Innere der Kapelle schmücken, wurden im Jahr 1463 gemalt; es wird angenommen, dass der edle Bonifacio Della Torre den Piemontesischen Maler Giacomo oder Giacomino da Ivrea, dessen Anwesenheit in der Region Canavese und im Aosta-Tal zwischen 1426 und 1469  bezeugt ist, mit deren Ausführung betreut hat.

Die auf einem Felsvorsprung gebaute Kirche besteht aus einer Apsis und einem Glockenturm im reinsten romanischen Stil. Die äußere Westfassade der Kirche ist vollständig mit Fresken bedeckt; diese stellen die Messe des Heiligen Gregors; den Kampf des Heiligen Georgs gegen den Drachen; den grossen Sankt Christophorus mit dem Jesuskind und die Heiligen Martha, Maria Magdalena und Lazarus dar.

Das Fresken der Apsis und des Chors, die auch Giacomo von Ivrea zugeschrieben werden, wurden im Jahr 1938 ans Licht gebracht. Das Gewölbe der Apsis ist vollständig mit der Darstellung des segnenden Christus und den Symbolen der vier Evangelisten bemalt. Auf den Wänden der Apsis, kann man die zwölf Apostel sehen und in der Laibung die den Chor vom Kirchenschiff trennt, vierzehn Fresken mit der Sage der Heiligen Maria Magdalena.


 

Cosimo Nocera ist Historiker und Museumsführer am Nationalmuseum in Bangkok. Er lebte und arbeitete in Italien, der Schweiz und den Andenländern (Peru, Ecuador und Bolivien). Nach einem längeren Aufenthalt in Südost Asien, lebt er derzeit in der französischen Schweiz.

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